Krebsnachsorge – oft wird zu kurz gedacht

Für die Langzeitnachsorge bei Krebspatienten wären sektorübergreifende Konzepte dringend notwendig. Ein Projekt an der Universitätsklinik Frankfurt zeigt, wie es geht.

Von Rebekka Höhl

Bei Krebsnachsorge wird oft zu kurz gedacht

Mit den Spätfolgen werden Krebspatienten, aber auch ihre betreuenden Hausärzte oft allein gelassen.
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FRANKFURT/MAIN. Innovative Krebstherapien und Fortschritte in der Chirurgie haben die Langzeitüberlebenschancen von Krebspatienten deutlich verbessert.
Gut die Hälfte der Patienten erreiche den Status der „Cancer Survivors“, also jener Patienten, die den kritischen Fünf-Jahres-Zeitraum nach der Diagnose überleben, berichteten Experten vom Uniklinikum Frankfurt am Main anlässlich des Weltkrebstages. Die onkologische Nachsorge endet bislang aber in der Regel nach fünf Jahren.


Zahlen des Zentrums für Krebsregisterdaten am Robert Koch-Institut bestätigen die verbesserten Überlebenschancen. Die altersstandardisierten Raten für den Zeitraum 2013/2014 bei Krebspatienten, die 15 Jahre oder älter sind, zeigen: Fünf Jahre nach der Krebsdiagnose sind 58 Prozent der Patientinnen und 50 Prozent der Patienten am Leben. Nach zehn Jahren sind es bei den Frauen 47 Prozent und bei den Männern 38 Prozent.
Bessere Vernetzung der Leistungserbringen nötig
Mit ihren krankheits- und therapieinduzierten Spätfolgen werden Krebspatienten, aber auch ihre betreuenden Hausärzte oft allein gelassen. In Hessen will das Uniklinikum Frankfurt das nun ändern und setzt dabei auch auf eine sektorübergreifende Gesundheitsplattform.
„Wir denken schon zwei Schritte weiter als die Nationale Dekade gegen den Krebs“ – am Universitären Centrum für Tumorerkrankungen (UCT) der Uniklinik Frankfurt am Main werde derzeit eine sektorübergreifende Langzeitnachsorge für Krebspatienten auf die Beine gestellt, erklärte Dr. Jürgen Graf, Ärztlicher Direktor und Vorstandsvorsitzender des Uniklinikums. Dabei ist es kein Zufall, dass das Uniklinikum sein neues Angebot zum Weltkrebstag am 4. Februar vorstellt.
Derzeit würde die onkologische Nachsorge der Patienten in Deutschland in der Regel nach fünf Jahren enden, so Graf. „Danach werden sie salopp gesagt in die freie Wildbahn entlassen.“
Dabei wüsste man längst, dass viele der Cancer Survivors, also jener Patienten, deren Überlebensrate nach der Diagnose diese kritischen fünf Jahre übersteigt, mit Spätfolgen der Therapie und Erkrankung zu kämpfen hätten, ergänzte Dr. Teresa Halbsguth von der Medizinischen Klinik II Hämatologie/Onkologie, die das Projekt Langzeitnachsorge mit betreut.
Trägt die Nationale Dekade, die das Bundesforschungsministerium gerade ausgerufen hat und die die Zusammenarbeit von Grundlagen- und klinischer Forschung weiter intensivieren soll, – hoffentlich – Früchte, dann würde das die Langzeitüberlebenschancen weiter verbessern. Damit wird aber auch die Langzeitnachsorge noch wichtiger.
Zu oft frühverrentet
„Die Häufigkeit schwerer Folgen sind zum Glück selten“, sagte Halbsguth. Dafür treten aber viele therapiebedingte Erkrankungen oder Symptome auf, die die Lebensqualität erheblich beeinträchtigen.
Cancer Survivors seien häufiger arbeitslos und würden viel öfter frühverrentet als der Rest der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter. „Dieses Thema kann uns nicht egal sein“, appellierte sie.
Dabei sind es oft Herzerkrankungen, Erschöpfungserscheinungen und Fatigue, Schlafstörungen, psychosoziale Probleme und gerade bei Patienten, die im Kindesalter an Krebs erkranken, auch die Beeinträchtigung der Fruchtbarkeit.
Die Patienten hörten auch immer noch zu oft den Satz: „Du hast die Krebserkrankung überstanden, jetzt stell dich nicht so an“, berichtete Halbsguth.
Insbesondere beim Thema Fatigue brauche es viel Fingerspitzengefühl aufseiten der Ärzte. „Das ist schwer zu messen.“
“Programm wird flexibel gestaltet”
„Ich hatte eine sehr ausgeprägte Fatigue.“, berichtet die 25-jährige Krebspatientin Laura V. Gerade sind es die jungen Krebspatienten in der Transitionsphase, die Unterstützung benötigen, wenn nicht mehr die Eltern primärer Ansprechpartner der Mediziner sind.
Vor vier Jahren wurde bei ihr Morbus Hodgkin diagnostiziert. Mittlerweile gilt sie als geheilt, aber sie hat mit den Spätfolgen der Erkrankung und Therapie zu kämpfen.
Mit Mitte 20 beschäftige sie sich aber auch so langsam mit Familienplanung, berichtete sie sehr offen. „Ich weiß, dass meine Chancen, Kinder zu bekommen, gering sind.“ Dass sie, obwohl die fünf Jahre Regelnachsorge noch nicht ausgeschöpft sind, schon am Langzeitnachsorgeprogramm teilnehmen kann, hilft da enorm.
„Wir gestalten das Programm hier flexibel“, sagte Professor Christian Brandts. Entscheidend ist die individuelle Situation des Patienten.
Der Wunsch: Eine E-Akte
Doch was machen die Frankfurter Experten nun besser? Sie bieten niedergelassenen Ärzten und Patienten gleichermaßen ein Netzwerk an Spezialisten, dass sie bei der Nachsorge unterstützt. Hierzu stellen sich die Patienten einmalig in der Nachsorge-Sprechstunde vor.
Das kann auf Anraten des niedergelassenen Arztes geschehen, die Patienten können das Angebot aber auch von sich aus nutzen und sich beim UCT melden. Zunächst einmal geht es darum, ein Risikoprofil zu erstellen, anschließend beraten die Krebsspezialisten die Patienten und die niedergelassenen Ärzte bei der Wahl der Untersuchungsverfahren im hausärztlichen Setting.
Außerdem wird ein Netzwerk zu verschiedenen Fachärzten – bei der Frage nach der Beeinträchtigung der Fruchtbarkeit etwa zur Gynäkologie am Uniklinikum – bereitgestellt.
Zusätzlich will die Uniklinik eine Gesundheits-Plattform für die Nachsorge aufbauen. Ziel sei es, so Graf, in den nächsten fünf Jahren auch eine Gesundheitsakte zu etablieren, über die die Niedergelassenen und die Ärzte am Uniklinikum gemeinschaftlich in Echtzeit alle wichtigen Daten zur Verfügung haben.
Der Plan ist, dass die Anbindung über die Praxis-Software der Ärzte funktioniert. Aber hier steht das Uniklinikum noch am Anfang und Graf gesteht ein, dass dies kein leichtes Unterfangen wird.
Bereits jetzt bekommen die Patienten über die Langzeitsprechstunde aber einen strukturierten Arztbrief, indem die wichtigen onkologischen und Begleitbefunde festgehalten werden.
“Wollen keine Konkurrenz zu Niedergelassenen”
Die Uniklinik nutzt bei dem Programm, das übrigens schon Mitte 2018 ins Leben gerufen wurde (allerdings zunächst nur für Patienten aus dem eigenen Haus), auch die Verknüpfung mit dem regionalen Praxisnetzwerk des Instituts für Allgemeinmedizin. Das kommt dann insbesondere den Patienten zugute, die vielleicht noch keinen Hausarzt haben.
„Wir wollen aber keine Konkurrenz zu den niedergelassenen Ärzten sein“, stellte Professor Hubert Serve, Direktor der Medizinischen Klinik II klar. Dazu hätte das Uniklinikum auch gar nicht die Kapazitäten. „Es geht darum, ein Hilfsangebot zu schaffen.“
Die Idee der Langzeitnachsorgesprechstunde ist dabei nicht neu: Derzeit seien solche Sprechstunden aber nur an wenigen Tumorzentren angesiedelt, sagte Professor Christian Brandts, Direktor des UCT. „Wir halten das für ein Zukunftsthema.“
Und zwar eines, das breiter aufgestellt werden sollte. In den Niederlanden gebe es schon richtige Cancer Survivor Kliniken, ergänzte Halbsguth.
Hessenweit gebe es immerhin pro Jahr 35.000 Krebsneuerkrankungen – allein am Uniklinikum seien es 4000 pro Jahr, so Brandts. Gut die Hälfte erreicht den Status der Cancer Survivors.
(Mitarbeit: ths)