„Spiegel“: Prostatakrebspatienten an Uniklinikum zweifelhaft therapiert

Lutetium hat sich in Studien gegen progredienten metastasierten Prostatakrebs als erfolgreich erwiesen. Doch es bleibt zunächst eine experimentelle Therapie, die erst nach Anwendung anderer Therapien empfohlen wird. Grafik: Kaarle – Fotolia.com


Nuklearmediziner des Universitätsklinikums Frankfurt sollen einem Bericht des „Spiegel“ zufolge Prostatakrebspatienten jahrelang leitlinienwidrig mit Lutetium-177-PSMA behandelt haben, ohne dass die Patienten zuvor die in ihrem Stadium anerkannten Therapien erhalten hätten.
Der „Spiegel“ wirft dem Oberarzt Dr. Wolfgang Bergter, der das Universitätsklinikum inzwischen verlassen hat, und dem Chefarzt der Klinik für Nuklearmedizin, Prof. Frank Grünwald, vor, Prostatakrebspatienten die nuklearmedizinische Therapie verabreicht zu haben, obwohl in deren Fall andere, umfangreich in Studien geprüfte Therapien indiziert gewesen wären. Dabei hätten sich die Mediziner auch über die Empfehlungen der interdisziplinären Tumorkonferenz hinweggesetzt. Das Nachrichtenmagazin wirft dem Klinikum ein “Geschäft mit der Hoffnung” vor.
Zu früh Hoffnung gemacht?
Die deutsche S3-Leitlinie empfiehlt Lutetium-177-PSMA “nach Ausschöpfen der empfohlenen Therapieoptionen”. Diese wären in den vom „Spiegel“ geschilderten Patientenschicksalen – Prostatakrebs mit ossären Metastasen – leitliniengerecht eine Chemo- oder sekundäre Hormontherapie. Der Oberarzt habe den Patienten in ungerechtfertigter Weise Hoffnung gemacht, ihre Krebserkrankung zu heilen und somit möglicherweise wirksame Therapien verhindert oder herausgezögert, kritisiert das Nachrichtenmagazin. In den geschilderten Fällen hat die neue Therapieform, bei der ein radioaktives Isotop in den Prostatakrebs und seine Metastasen geschleust wird und diese durch die Strahlung zerstören soll, dem Bericht zufolge nicht angeschlagen.
Klinikum hat keine Bedenken
Das Klinikum sieht nach eigener Darstellung alle „medizinischen Standards und regulatorischen Vorgaben nach aktuellem Stand der medizinischen Forschung uneingeschränkt erfüllt“. Es gebe keine berufs- und medizinrechtlichen Bedenken, teilte eine Sprecherin am 20.12.2019 in Frankfurt der Deutschen Presseagentur (dpa) mit. Patienten und Ärzte würden stets gemeinsam über eine Therapie entscheiden. Gegenüber dem „Spiegel“ betonte die Pressestelle der Uniklinik, es gelte die Therapiefreiheit, Patienten dürften sich in Absprache mit dem behandelnden Arzt gegen die Empfehlung der Tumorkonferenz entscheiden.
DGN-Kommentar bleibt neutral
Die Deutsche Gesellschaft für Nuklearmedizin (DGN) stellt in einer Reaktion auf den Bericht fest, „dass Patienten mit metastasiertem, fortgeschrittenem Prostatakarzinom nach Ausschöpfung der leitliniengerechten empfohlenen Therapieoptionen ein Therapieversuch mit Lutetium-177-PSMA auf Basis der Empfehlung einer interdisziplinären Tumorkonferenz angeboten werden kann“. Die DGN-Mitteilung bleibt insofern ohne Stellungnahme, da der „Spiegel“-Artikel ja gerade kritisiert, dass die Therapieoptionen nicht ausgeschöpft worden seien.
Die DGN begrüßt in der Mittelung die inzwischen international gestartete klinische Phase-III-Studie zu der Lutetium-177-PSMA-Therapie, welche  die Untersuchung der Wertigkeit der nuklearmedizinischen Therapie im Vergleich zu aktuellen Therapiestandards zum Inhalt hat.
Erfolge bei vorbehandelten Patienten
Eine im Juni 2018 in „The Lancet. Oncology“ erschienene Einzelarm-Phase-II-Studie zeigte bei Patienten, die unter einer Standardtherapie gegen mCRPC progredient geworden waren – darunter Taxan-basierte Chemotherapie und Antiandrogene der zweiten Generation – hohe Ansprechraten, Schmerzreduktion und geringe Nebenwirkungen. Für die Aufnahme der Patienten in die Studie waren strenge Kriterien angelegt worden; unter anderem musste eine hohe PSMA-Expression radiologisch abgesichert sein (wir berichteten in „Kompakt Urologie).
(ms/dpa)

Quelle
dpaDer SpiegelDGNThe Lancet. Oncology