Lokalisiertes Prostatakarzinom: Zwischen “Hightech” und “Oldschool”

1. Februar 2021

 Lokalisierter Prostatakrebs war eines der Themen beim Uro-onkologischen Jahresauftakt 2021. Grafik: ©SciePro – stock.adobe.com

Beim Magdeburger Interdisziplinären Symposium zu Kontroversen in der Uro-Onkologie, das dieses Jahr virtuell stattfand, diskutierten Experten am 29.01.2021 den State of the Art beim lokalisierten Prostatakarzinom. Dabei reichte die Spanne von hochtechnisierten neuen Methoden bis zu fast vergessenen Operationsansätzen.

„Ist die Gallium-68-PSMA-PET/CT der neue Goldstandard beim Staging des Hochrisko-Prostatakarzinoms?“, fragte zu Beginn der Sitzung Prof. Winfried Brenner von der Klinik für Nuklearmedizin an der Charité – Universitätsmedizin Berlin. Seine Antwort war ein klares Ja. Er begründete dies mit der prospektiv randomisierten Studie proPSMA1, die mit 302 Patienten in Australien die konventionelle Bildgebung (Computertomographie [CT] und Knochenszintigraphie) mit dem neuen Verfahren verglich. Bei der Gallium-68-PSMA-PET/CT wird dem Patienten vor der Diagnostik ein Radiotracer injiziert, der an das prostataspezifische Membranantigen (PSMA) bindet. Dieses Protein wird spezifisch auf der Oberfläche von Prostatakrebszellen exprimiert. Damit lassen sich auch kleinste Metastasen entdecken, wie vorige Untersuchungen gezeigt haben.

Gallium-68-PSMA-PET/CT mit höherer Genauigkeit als Standardverfahren

Die proPSMA-Studie hat nun gezeigt, dass das neue Verfahren in punkto Genauigkeit (accuracy) mit 92 gegenüber 65 Prozent deutlich überlegen war (p<0,0001). Auch bei der Sensitivität gab es einen erheblichen Vorteil (85% vs. 38%), während der Unterschied bei der Spezifität nicht so groß war (98% vs. 91%). Die konventionelle Erstlinien-Bildgebung führte zudem seltener zu einem Wechsel des Krankheitsmanagements (15% vs. 28 %; p=0,008) und ergab mehr zweideutige Befunde (23% vs. 7% als die PSMA PET-CT.

Brenner führte noch eine weitere Studie an, die den starken Einfluss der neuen Bildgebungstechnik auf die Therapieplanung belegt. Eine prospektive Studie2 untersuchte 431 Patienten an vier Zentren, von denen 25 Prozent beim Primärstaging ein Intermediate- oder High-risk-Prostatakarzinom hatten und 62 Prozent ein Restaging bei biochemischem Rezidiv erhielten. Die Gallium-68-PSMA-PET/CT führte bei 21 Prozent der ersteren und bei 62 Prozent der letzteren Patientengruppe zu einem Wechsel des Therapieplans.

Lymphknotenmetastasen hören und entfernen

PSMA kann aber nicht nur zur Diagnostik, sondern auch zur Therapie genutzt werden, wie PD Dr. Tobias Maurer von der Martini-Klinik am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf darstellte. Bei der „PSMA-radioguided surgery“ erkennt ein Technetium-99m-markierter Radiotracer einzelne befallene Lymphknoten, die sich dann mit einer Sonde akustisch detektieren lassen, wie Maurer mit einem Video demonstrierte.

Für die Anwendung dieser Methode ist eine sorgfältige Patientenauswahl entscheidend, wie Maurer betonte. Der Patient sollte einen guten Allgemeinzustand und eine mutmaßlich längere Lebenserwartung haben, der PSA-Wert sollte möglichst unter 2 ng/ml liegen, es sollte nur ein solitärer Befund in der PSMA-PET-CT vorliegen, der befallene Lymphknoten sollte im kleinen Becken liegen und es sollte möglichst keine Hormontherapie durchgeführt werden. „Ein individuelles Beratungsgespräch ist notwendig, um zu klären, ob eine PSMA-radioguided surgery sinnvoll ist“, schloss Maurer.

Prostaktetomie: Roboter oder offen?

Bei den Magdeburger Diskussionen bewegte die Referenten auch erneut die Frage, welche Operationstechnik beim lokalisierten Prostatakarzinom die beste ist. Der Dauerbrenner-Frage, ob die roboterassistiere Prostatektomie der offenen überlegen nicht oder nicht, widmete sich Prof. Markus Graefen von der Martini-Klinik. „Das offene und das roboterassistierte Verfahren sind gleichwertig“, lautet für den erfahrenen Operateur das Fazit. Immer wieder seien Studien aufgelegt worden, die einen Vorteil in die eine oder andere Richtung gezeigt hätten, aber an erheblichen Limitationen litten, wie etwa dem Vergleich zweier Chirurgen oder zweier Zentren. Seine Klinik biete das „bestmögliche Szenario zum Vergleich beider Techniken“, da die gleichen Chirurgen „jenseits der Lernkurve“ mit beiden Zugangswegen operieren. Auch das prä-, peri- und postoperative Management sowie die Datenverarbeitung seien identisch. Das Ergebnis sei, dass beide Verfahren sich weder in onkologischer Hinsicht noch in Bezug auf Komplikationen unterscheiden – auch nicht beim postoperativen Schmerz. Einen Vorteil gibt es allerdings bei adipösen Patienten für den Roboter. Überhaupt seien die wissenschaftlichen Studien „allenfalls interessant, ändern aber nichts“, denn der Roboter werde sich weiter durchsetzen. Die Möglichkeiten, das Tempo und die Kultur des Lernens der Operationstechnik seien beim roboterassistierten Verfahren besser als bei der offenen OP, so Graefen. „Das Potenzial der robotischen Chirurgie ist der offenen überlegen.“

Roboter besser als klassische Laparoskopie

Wie steht es nun mit der roboterassistierten versus der konventionell laparoskopischen Operationstechnik? Dr. Toni Franz vom Universitätsklinikum Leipzig stellte hierzu Daten der Studie LAP-01 vor, nach seiner Aussage die erste Studie höchster Evidenz zum Vergleich der beiden Operationsverfahren.

Es handelt sich um eine randomisierte, kontrollierte, Patienten-verblindete Studie an vier Krankenhäusern, die durch ein ausgelagertes Statistik-Institut supervidiert wurde. Erfasst wurde die Kontinenz nach drei Monaten auf der Grundlage eines Miktions-/Vorlagentagebuches der Patienten vom Zeitpunkt der Katheterentfernung bis zum Wiedererlangen der Kontinenz, definiert als vorlagenfrei oder als Verwendung einer Sicherheitsvorlage über 24 Stunden. Endpunkte waren Kontinenz, Potenz, Lebensqualität, Patientenzufriedenheit sowie klinisches und onkologisches Outcome. Randomisiert wurden 782 Patienten, der vollständige Datensatz umfasste 718 Patienten.

Ein Unterschied zeigte sich insbesondere bei bilateraler Nervschonung und strengen Inkontinenzkriterien: Unter robotischer Prostatektomie waren 65,8 Prozent kontinent, bei laparoskopischer nur 49,5 (p=0,005). Obwohl die Unterschiede bei keinem oder nur einseitigem Nerverhalt nicht signifikant waren, war der Unterschied dennoch zwischen den Gesamtgruppen ebenfalls signifikant (54,3% vs. 45,6%; p=0,027). Signifikante Unterschiede zugunsten des Roboters ergaben sich auch, wenn man keine Sicherheitsvorlage als Kontinenzkriterium zuließ (Roboter: 29,9%; Laparoskopie: 17,4%; p=0,027) und in Bezug auf den Fragebogen ICIQ-SF (p=0,0032). Bezüglich der Potenz nach drei Monaten (Fragebogen IIEF) war ebenfalls das roboterassistierte Verfahren im Vorteil (6,0 [95%-KI 56,2-62,3] vs. 4,7 [3,8-5,5]; p=0,016). Im Fragebogen EORTC-PR 25 bezüglich sexueller Aktivität und Funktion zeigte sich dieser Unterschied allerdings nicht.

„Die Studie zeigt, dass die robotische Prostatektomie im Vergleich zur klassischen Laparoskopie bessere Kontinenzraten nach drei Monaten zeigt“, berichtete Franz. Dabei beeinflussen Patientenalter und Nervschonung die Wiederherstellung der Kontinenz. „Auch die Rehabilitation der erektilen Funktion zeigt bessere Ergebnisse zugunsten der Robotik“, so Franz weiter. Bezüglich der perioperativen Morbidität als auch des frühen onkologischen Outcomes zeigten sich aber keine signifikanten Unterschiede.

Perinealer Zugang: Es gibt noch Indikationen

Prof. Jan Fichtner vom Johanniter-Krankenhaus Oberhausen widmete sich schließlich noch einer fast vergessenen Operationstechnik, mit der die Geschichte der Prostataentfernung angefangen hatte: dem perinealen Zugangsweg. „Die Indikation besteht, wenn der Zugang von oben unmöglich ist“, so Fichtner. „Kontraindikationen sind Drüsen über 100 g und Ankylose, womit die erforderliche extreme Steinschnittlage nicht möglich wäre.“ Im vergangenen Jahr zählte Fichtner gerade einmal 20 Fälle mit speziellen Indikationen für eine perineale Prostatektomie: Sigma-/Rektumresektion (6), Nierentransplantatiton (3), Verwachsungsbauch (6) und auswärtig abgebrochene Prostatektomien (5).

Dabei hat die Vorgehensweise durchaus Vorteile. Fichtner führte eine Arbeit von 2011 an, in der sich die perineale gegenüber der retropubischen und der minimalinvasiven Prostatektomie behaupten konnte3: Während bei Inkontinenz und erektiler Dysfunktion keine Unterschiede zu verzeichnen waren, punktete die perineale Prostatektomie gegenüber der retropubischen und minimalinvasiven mit einem kurzen Krankenhausaufenthalt, einer niedrigen Komplikationsrate (16% vs. 23% vs. 21%), deutlich weniger Bluttransfusionen (7%) als bei der retropubischen (7%) und mit den niedrigsten Kosten der drei Verfahren. „Urologen geben möglicherweise einen nicht ausreichend genutzten, aber kostengünstigen chirurgischen Ansatz auf, der im Vergleich zu seinen Nachfolgern günstig ist“, folgerten Sandip M. Prasad und Kollegen vom Brigham and Women’s Hospital, in Boston (MA/USA) aus ihren Daten.

(ms)

Literatur:

  1. Hofman MS et al. Lancet 2020 Apr 11; 395(10231):1208–1216.
  2. Roach PJ et al. J Nucl Med 2018 Jan;59(1):82–88.
  3. Prasad SM et al. J Urol 2011 Jan;185(1):111–115.