Methadon – Neuer Ansatz in der Tumortherapie?

Methadon Formel

Hintergrund

Das Opioid Methadon ist vor allem als Ersatzdroge für Heroin bekannt. Zudem kann es als potentes Analgetikum bei Krebspatienten mit starken Schmerzen in der Palliativsituation eingesetzt werden.

In letzter Zeit gibt es Hinweise darauf, dass der Wirkstoff möglicherweise bei der Therapie von Krebserkrankungen erfolgreich eingesetzt werden könnte. Methadon soll helfen, die Wirksamkeit einer Chemotherapie im Einsatz gegen Tumore zu verbessern. Grundlage für diese Annahme sind Studien der Chemikerin Dr. Claudia Friesen vom Institut für Rechtsmedizin der Universität Ulm, die zeigen konnten, dass Tumorzellen verschiedener Krebsarten absterben, wenn ihnen in Zellkulturen zusätzlich zu einem Chemotherapeutikum auch D,L-Methadon zugegeben wird. Dies konnte beispielsweise für Leukämie- und Glioblastomzellen gezeigt werden.

Wie wirkt Methadon in der Tumortherapie?

Über die Bindung von Methadon an Opioidrezeptoren auf der Zelloberfläche, wird eine Signalkaskade in Gang gesetzt, an deren Ende die Herabregulation von cAMP steht. Hierdurch wird die Sensitivität der Tumorzellen für eine Chemotherapie erhöht. Gleichzeitig steigt die Apoptoserate der Tumorzellen. Dies konnte beispielsweise für humane Gliomzellen gezeigt werden.

Methadon vielversprechender Ansatz in der Tumortherapie – oder doch nicht?

Eine Arbeitsgruppe unter Beteiligung von Frau Dr. Friesen wertete retrospektiv die Daten von 27 Gliompatienten aus. Die Rezidivwahrscheinlichkeit war bei den Patienten, die Methadon erhielten, leicht verringert. „Das sieht man bei den Patienten, die nach dieser Behandlung dastehen und plötzlich gar keinen Tumor mehr haben – und vorher sind unter der gleichen Krebstherapie der Tumor und die Metastasen drastisch gewachsen“ erklärte Dr. Friesen dazu in einer Fernsehdokumentation. Bisher handelt es sich bei diesen klinischen humanen Daten nur um retrospektive Auswertungen. „Bei den dargestellten Krankheitsbildern ist daher unklar, ob die günstigen Therapieverläufe zwingend auf die Methadon-Einnahme zurückzuführen sind“ mildert die Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie (DGHO) in einer Stellungnahme diese Ergebnisse ab.

Zu bedenken ist, dass seit Frau Dr. Friesen von ihren Ergebnissen u.a. im Fernsehen berichtete, ein großes öffentliches Interesse an dem Thema besteht. “Daher halten wir es für wichtig, das mögliche Potenzial dieses Wirkstoffs unter klinischen Bedingungen zu untersuchen.”  erklärte der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Krebshilfe, Gerd Nettekoven.
Die wissenschaftliche Untersuchung dieses Themas ist gerade vor dem Hintergrund kontroverser Forschungsergebnisse und fehlender belastbarer klinischer Studien wichtig.
Andere Arbeitsgruppen konnten die positiven Effekte von D,L-Methadon auf eine Chemotherapie (Temozolomid) bei Glioblastomzellkulturen nicht bestätigen.

Herr Prof. Uwe Schlegel, Direktor der Neurologischen Universitätsklinik Bochum, begründet dies mit einem Fehlen von Opioidrezeptoren auf den meisten humanen Glioblastomzellen. Ohne diese Opioidrezeptoren kann jedoch Methadon weder in die Zellen eindringen noch auf sie wirken, erklären die Wissenschaftler hierzu. „Diese Zellen können deshalb leider gar nicht auf Methadon ansprechen“.

Was sind mögliche Risiken einer Methadontherapie?

Die Abwägung von Nutzen und Risiko der Methadontherapie ist noch sehr unklar, wie die DGHO betont. Der Wirkstoff steht beispielsweise im Verdacht insbesondere in hohen Dosierungen bei Langzeitanwendung kardiotoxisch zu sein und bei langfristiger Einnahme zudem die Lebenszeit zu verkürzen, wie eine Langzeitstudie aus Amerika vermuten lässt.
„Außerhalb von klinischen Studien ist von einer supportiven Methadontherapie des Glioblastoms dringend abzuraten“ empfiehlt Herr Prof Schlegel daher. Ob Methadon auf andere Tumorentitäten oder andere Arten von Chemotherapie wirkt, ist unklar und sollte nach Meinung der Experten daher untersucht werden.

Erste klinische Multicenterstudie startet 2020

Um Antworten auf die Frage nach dem Nutzen von D,L-Methadon in der Krebstherapie zu erhalten, startet voraussichtlich im ersten Quartal 2020 eine prospektive klinische Studie unter der Leitung von Wissenschaftlern des Universitätsklinikums Ulm. Eingeschlossen werden sollen Patienten, die an einem fortgeschrittenen metastasierten Dickdarmkarzinom leiden, bei denen eine Chemotherapie nicht mehr anschlägt.

„Die Krebszellen nehmen die Medikamente nicht mehr auf, sie sind widerstandsfähig geworden“, erklärt Studienleiter Prof. Thomas Seufferlein, Ärztlicher Direktor der Klinik für Innere Medizin I des Universitätsklinikums Ulm. „Unsere Hypothese ist, dass Methadon den Tumor wieder empfindlich für die Chemotherapeutika macht – auch dann, wenn alle anderen Therapiemöglichkeiten ausgeschöpft sind.“ „Je höher die Anzahl der Rezeptoren auf der Zelle ist, desto empfänglicher ist sie für Methadon“, erklärt Prof. Seufferlein weiter. „Einmal angedockt, sorgt es in der Zellkultur dafür, dass die Chemotherapeutika besser in die Zellen eindringen können – die Medikamente wirken damit effektiver. Wir hoffen, dass sich dieses Konzept auch auf die Patienten übertragen lässt.“

Zukünftiger Ablauf der Studie

Um die passende Dosierung des Methadons zu ermitteln, wird eine Vorstudie stattfinden. In der zweiten Phase der Studie wird eine größere Patientengruppe (ca. 70 Patienten) in zwei Arme aufgeteilt: Eine Gruppe wird ausschließlich mit einer Chemotherapie behandelt, während die andere Gruppe die Chemotherapie zusammen mit Methadon erhalten wird.

Fazit

Die Wissenschaftler betonen, dass mögliche Resultate der Studie allein für den Dickdarmkrebs und nicht für andere Tumorarten gelten würden. “Man kann die Ergebnisse dann weder in die eine noch in die andere Richtung generalisieren.” Die bis zum Jahr 2026 geplante Studie wird von der deutschen Krebshilfe mit 1,6 Millionen Euro unterstützt. Erste Resultate könnten frühestens Anfang 2022 vorliegen.

Autor: Dr. Ute Walliczek-Dworschak (Ärztin)

Stand: 07.11.2019