Diarrhö bei Tumortherapien – Folge 2: Immuncheckpoint-Hemmer

Dr. med. Thomas Kron

Dr. med. Thomas Kron Medizinische Nachrichten 14.03.2024

Kernbotschaften

Krebs-Patienten, die eine medikamentöse Tumortherapie erhalten, können eine Diarrhö entwickeln, die sehr belastend ist. Besonders häufig tritt diese Nebenwirkung bei Chemotherapien auf. Aber auch bei modernen Immuntherapien kann eine Diarrhö vorkommen, berichten der Onkologe Prof. Dr. med. Marcus Hentrich (Rotkreuzklinikum München)  und der Gastroenterologe Dr. med. Volker Pennorf ( Rotkreuzklinikum München). In einem aktuellen Zeitschriftenbeitrag erklären sie, wie Tumor-Patienten mit Diarrhö unter Immuntherapeutika behandelt werden sollten.

Eine Diarrhö liegt nach Definition der Weltgesundheitsorganisation vor, wenn mehr als drei flüssige Stühle pro Tag abgesetzt werden oder die Stuhlfrequenz höher ist als im individuellen Normalfall.

Die tumortherapie-bedingte Diarrhö zählt laut Hentrich und Pennorf zu den häufigen Nebenwirkungen einer antineoplastischen Therapie. Das Auftreten hänge von verschiedenen Faktoren wie dem eingesetzten Therapieregime sowie individuellen Faktoren wie Alter und Begleiterkranken der Patienten ab.

Bevor eine Diarrhö als therapiebedingt bewertet werde, sollte nach Angaben der Autoren eine infektiöse Ursache ausgeschlossen werden. Hierbei sei es sinnvoll, eine ambulant erworbene Diarrhö von einer während eines stationären Aufenthalts aufgetretenen Diarrhö zu unterscheiden. Bei Letzterer stünden insbesondere Clostridium difficile oder enteropathogene Viren, vor allem Noroviren, als Erreger im Vordergrund. Bei ambulant erworbener Diarrhö sollte zudem an Salmonellen, Shigellen, Yersinien und Campylobacter spp.(SSYC) sowie an enteropathogene Viren wie Adeno‐, Astro‐, Sapo‐ oder Rotavirus gedacht werden. Bei etwa der Hälfte der Patienten mit infektiöser Enteritis sei allerdings kein Erreger nachweisbar.

Eine Immunenterokolitis mit Diarrhö zähle zu den häufigsten Nebenwirkungen einer Therapie mit Immuncheckpoint-Inhibitoren (ICI), berichten Hentrich und Pennorf. Die häufigsten Symptome seien abdominale Schmerzen und Diarrhö. Letztere finde sich bei fast allen Patienten mit gastrointestinalen immunassoziierten unerwünschten Ereignissen (GI‐IrAE).

Die Inzidenz der durch Anti-PD-1/PD-L1-Antikörper ausgelösten Diarrhöe und Kolitis betrug in einer Metaanalyse dänischer Wissenschaftler zehn bzw. zwei Prozent. Klinisch relevante Unterschiede habe es zwischen den Wirkstoffen nicht gegeben.  Der CTLA-4-Inhibitor Ipilimumab löste bei 33 bzw. sieben Prozent der Patienten Durchfall und Kolitis aus; bei Kombinationstherapie mit Ipilimumab plus Nivolumab habe die Inzidenz von Durchfall und Kolitis je nach Behandlungsschema 21 bis 37 Prozent bzw. vier bis acht Prozent betragen.

Laut der „European Society For Medical Oncology“ (ESMO) kann sich die IR-Enterokolitis (IR: immune related) nach Wochen oder Monaten der ICI-Behandlung entwickeln. Der mediane Zeitpunkt des Auftretens sei bei Anti-CTLA-4 kürzer (1 Monat nach der ersten Infusion) als bei Anti-PD-1 (2-4 Monate nach der ersten Infusion).

Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie

Zur Diagnostik und Therapie bei IR-Nebenwirkungen unter Immuntherapeutika hat die „European Society For Medical Oncology“ eine Leitlinie erstellt; darin enthalten sind auch Empfehlungen zur Vorgehensweise bei Diarrhö und Kolitis. So empfiehlt die onkologische Fachgesellschaft eine flexible Sigmoidoskopie oder Koloskopie und Biopsien bei Patienten, die mit ICIs behandelt werden und bei denen eine Diarrhöe >1 Grades auftritt. Eine CT-Untersuchung zur Diagnose der IR-Enterokolitis wird aufgrund der unzureichenden Sensitivität nicht empfohlen.

Die Therapie richtet sich nach dem Schweregrad der immunenterokolitis-bedingten Diarrhö, der sich anhand der CTCAE‐Kriterien (Common Terminology Criteria for Adverse Events) einteilen lässt. In Übereinstimmung mit der ESMO-Leitlinie empfehlen Hentrich und Pennorf;

  • Patienten mit GI‐IrAE vom Grad 1–2 werden primär mit symptomatischen Maßnahmen wie ballaststoffarmer Diät, Loperamid oder Spasmolytika behandelt.
  • Bei ausbleibender Besserung erfolgt eine Behandlung mit Budenosid lokal oder oralen Steroiden, zum Beispiel Prednisolon (0,5–1 mg/kg tgl. p.o.).
  • Bei schwerer Diarrhö (IrAE-Grad 3 oder 4) ist eine Hospitalisierung erforderlich mit intravenöser Methylprednisolon-Therapie (1–2 mg/kg für 3 Tage, gefolgt von 1 mg/kg tgl.).
  • Die Ansprechrate auf Kortikosteroide liege einer Analyse von 39 Studien zufolge bei 59 Prozent. Unter Therapie mit Anti‐PD‐1/PD‐L1‐AK sei die Ansprechrate höher gewesen als unter Therapie mit Anti‐CTLA‐4‐AK (78 % vs. 56 %). Bei Ansprechen könne die Behandlung auf oral umgestellt und je nach Symptomatik langsam, d. h. über eine Zeit von bis zu 3 Monaten, ausgeschlichen werden.
  • Unter Therapie mit CTLA‐4‐Inhibitoren sollte den Autoren zufolge ein Therapieabbruch bereits bei einer Toxizität ≥ Grad 2, bei Einsatz von PD1/ PD‐L1‐Inhibitoren ab Grad 3 erwogen werden.
  • Für Patienten, die nicht auf Prednisolon i.v. ansprächen, oder bei Patienten mit Hochrisiko‐ kriterien sei als nächster Therapieschritt die Gabe des Anti‐Tumornekrosefaktor(TNF)‐AK Infliximab (5 mg/kg tgl.) indiziert. Meist sei eine einmalige Gabe ausreichend. Bei infliximab‐ refraktärem Verlauf sollte Vedolizumab, ein gegen Integrin gerichteten monoklonaler Antiköper, verwendet werden.

Die Wiederaufnahme der ICI-Therapie bei Patienten, bei denen GI-irAEs aufgetreten sind, sollte laut ESMO von Fall zu Fall und multidisziplinär besprochen werden

Marcus Hentrich und Volker Pennorf: Stufenweise Behandlung
bei therapiebedingter Diarrhö; best practice onkologie; https://doi.org/10.1007/s11654-024-00553-9